"Ein Beschluß des Nationalen
Verteidigungsrates der DDR vom 13.10.1965, der in Zusammenhang mit der
Konferenz der Staatlichen Geodätischen Dienste der sozialistischen Staaten
in Moskau 1965 steht, sah u.a. vor, dass topographische Karten im
einheitlichen Koordinatensystem 42 nur noch in den sogenannten "bewaffneten
Organen": MfNV, MfS und MdI geführt werden dürfen. Von allen anderen
bisherigen Nutzern waren die Karten einzuziehen und durch eine "Ausgabe für
die Volkswirtschaft (AV)" – Karten, aus denen einheitlicher Blattschnitt,
geodätische Netze, trigonometrische Punkte, Qualitäts- und Quantitätsangaben
sowie andere "vertrauliche Angaben" entfernt sind – zu ersetzen. Karten für
die Öffentlichkeit sollten zusätzlich unregelmäßige Maßstabs- und
Richtungsverzerrungen und Ungenauigkeiten bis zu ±3 km aufweisen. ..."
(aus: http://www.bstu.bund.de/DE/Wissen/Publikationen/Publikationen/archivreihe_band-05.html)
"In
der Historie sind Kartenfälschungen vor allem aus der Phase des 18. bis
Anfang des 19. Jahrhunderts bekannt. Allerdings beschränkten sich diese
zumeist auf die Umgebung militärisch besonders wichtiger Objekte. Mit der
russischen Revolution und dem Bürgerkrieg kamen im „ersten sozialistischen
Staat der Welt“ Fälschungen topographischer Karten wieder in Mode. Die von
der dortigen kommunistischen Regierung strikt verordnete Geheimhaltung wurde
im Laufe der kommenden Jahrzehnte schließlich bis zu Plänen mit einem
Maßstab von 1 : 5 000 000 ausgeweitet. Das System fand nach der Errichtung
der „Volksdemokratien“ ab 1945 auch auf diese Staaten Anwendung, in
besonderem Maße in der DDR als dem am meisten westlich gelegenen Staat des
ehemaligen Ostblocks. Kurios war im Vergleich zu früheren Fälschungen jedoch,
dass sich der Staat durch eine weitaus überzogene Geheimhaltung letztlich
selbst schwer schädigte. Die eigene Wirtschaft musste zum größten Teil mit
verfälschten Karteninhalten arbeiten und so mit Fehlplanungen bzw.
Fehlprojektierungen von Objekten rechnen. Waren die Probleme bereits aus
Aufträgen aus der Vergangenheit bekannt, wurde das vorhandene Material daher
an Ort und Stelle nochmals überprüft und den tatsächlichen Gegebenheiten
angepasst, teilweise griffen die Verantwortlichen in den Kombinaten zur
Umgehung solcher Schwierigkeiten auf Kartenmaterial zurück, welches bereits
vor 1945 erstellt worden war. Beides war freilich mit zusätzlichem
Zeitaufwand und Kosten verbunden, die letztlich auch nicht im Interesse der
staatlichen Stellen liegen konnten.
...
Während in den ersten Serien, die Anfang der fünfziger Jahre erschienen,
lediglich die Sperr- und Grenzgebiete besonders „bearbeitet“ (so die interne
Bezeichnung für „verfälscht“) wurden, geriet seit Ende der fünfziger Jahre
die Erstellung und Verbreitung aller topographischen Karten von Maßstäben
bis zu 1 : 100 000 grundsätzlich zum Staatsgeheimnis.
...
Seit 1963 hatten die topographischen Karten die Bezeichnung „Nur für den
Dienstgebrauch“ zu tragen. „Gesamtpläne, Karten, Zeichnungen, technische
Unterlagen und ähnliches von volkswirtschaftlich wichtigen Betrieben und
Einrichtungen“ mussten als „Verschlusssachen“ geführt werden. Bei Missbrauch
dieses Materials war eine Verurteilung nach § 14 Spionage, § 15 Sammlung von
Nachrichten sowie § 367 Urkundenfälschung möglich.
Während der Zugang zu dem Material im Laufe der Zeit immer weiter erschwert
wurde, wuchsen zugleich die Bedürfnisse der Volkswirtschaft nach
detaillierten topographischen Karten. Um diese Ansprüche einigermaßen
befriedigen zu können, wurde seit Mitte der sechziger Jahre neben der als „Vertrauliche
Verschlusssache“ geheim gehaltenen „staatlichen“ Kartenserie (AS) eine
speziell für die Volkswirtschaft vorgesehene Kartenserie (AV) produziert.
Vor allem die ersten AV-Serien zeichneten sich jedoch gegenüber den AS-Karten
durch Veränderungen aus, die berechtigterweise als „Kartenfälschungen“
bezeichnet werden können. So stimmten schon die Koordinaten beider Karten im
Vergleich nicht überein, wodurch Verzerrungen entstanden. Gegenüber der AS-Karte
war das AV-Material auch hinsichtlich der quantitativen Angaben z. B. zur
Tragfähigkeit von Brücken, Straßenbreiten, Steigungen und Wassermengen von
Talsperren gravierend reduziert. Ferner wurden die Bebauungsstrukturen, z.
B. durch „Zerlegung“ größerer Gebäudekomplexe oder Ausradierung von
Bahnanschlüssen vielfach geändert, so dass Rückschlüsse auf die Art der
Objekte (Betriebe, militärische Objekte) nahezu unmöglich waren. Andere
Gebäude wurden in den Karten entgegen ihrer tatsächlichen Lage gewendet,
verschoben oder gelöscht. Größere Gebäude wurden in Einzelhaussiedlungen
verwandelt, Fernverkehrs- und Landstraßen in Feld- und Waldwege. Eine
besondere „Bearbeitung“ erfuhr natürlich auch der Grenzraum zur
Bundesrepublik. Hier wurden teilweise die letzten Kilometer vor der
unmittelbaren Grenzlinie überhaupt nicht dargestellt, Wege verändert oder
gelöscht und andere – in der Realität nicht existierende – Verbindungen
eingetragen, um potentielle Fluchtwillige zu irritieren.
...
Erst in den achtziger Jahren wurden aufgrund der vielfachen Kritik der
zivilen Kartennutzer die gröbsten Veränderungen in der Darstellungsweise im
Vergleich zu den AS-Karten beseitigt. Dies war freilich in zweierlei
Hinsicht viel zu spät: Weder der enorme Vertrauensverlust in das
DDR-Kartenwesen, noch die heute nur grob zu schätzenden Schäden der eigenen
Wirtschaft konnten durch eine solche Maßnahme auch nur annähernd
ausgeglichen werden."
(aus: http://www.mitteleuropa.de/karten01.htm) |