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Zur Berechnung der Grundwasservorräte
von DR. NORBERT MEINERT
 
(Gekürzt aus einem Vortrag zum Gedenkkolloquiums für Prof. Dr. Friedrich Stammberger anlässlich seines 100. Geburtstages am 15. Mai 2008 an der
TU Bergakademie Freiberg;   kpl. veröff. GEOHISTORICA, Heft 4/2009)

In den ersten Jahren nach dem Ende des 2. Weltkrieges standen in der DDR zunächst die Wiederherstellung der zerstörten kommunalen Trinkwasserversorgungen sowie in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts die Verbesserung der Wasserversorgung in den ländlichen Gebieten im Vordergrund (Gruppenwasserversorgungen, Rinderoffenställe etc.).

Ein deutlicher Entwicklungsschub vollzog sich mit dem Inkrafttreten des „Kohle- und Energieprogramms“ ab etwa 1957.

Die Wasserwirtschaft entwickelte zur Absicherung der Wasserversorgung in den für den Braunkohleabbau vorgesehenen Gebieten der Lausitz und des mitteldeutschen Raumes sowie der Kraftwerksstandorte u. a. die Konzepte für Fernwasserversorgungen (FWV Lausitz, FWV Elbaue, FWV Rappbodetalsperre u.a.).

Diese Konzepte erforderten ebenso wie der Aus- und Aufbau der Industriestandorte Petrochemisches Kombinat und Papierfabrik Schwedt, Eisenhüttenkombinat Stalinstadt, Chemiewerke Premnitz, Leuna, Bitterfeld sowie die Notwendigkeit der Verbesserung der Trinkwasserversorgungen Rostock, Berlin, Magdeburg, Dresden u. a. deutlich qualifiziertere und umfangreichere Aussagen zur hydrogeologischen Situation und zu den dauerhaften GW-Gewinnungsmöglichkeiten als die Jahre zuvor.

Die Beanspruchung des Wasserhaushaltes erfuhr durch diese Programme sowie durch die künstliche Bewässerung der sich intensiv entwickelnden Landwirtschaft eine kritische Belastung.

Auf Grund der ungünstigen klimatischen Wasserbilanz betrug das potenzielle Wasserdargebot in der DDR pro Einwohner nur 880 m³/Ew*a und der Nutzungsgrad erreichte 36 % (BRD 1.750 m³/Ew*a.; Nutzungsgrad 15 %). Diese naturbedingte Restriktion des verfügbaren Wasserdargebotes auf der einen sowie der hohe spezifische Wasserverbrauch von Industrie und Landwirtschaft auf der anderen Seite führten zu einer Konfliktsituation bezüglich der zeitlich und ortsbezogenen quantitativ und qualitativ ausreichenden Wasserbereitstellung. Die Situation verschärfte sich in den Folgejahren. Mehrfachnutzung und nicht ausreichende Abwasserreinigung führten zu negativen Beschaffenheitsentwicklungen in den Gewässern. Das war dann auch der objektive Grund dafür, dass die Erkundung und Erschließung von Grundwasserressourcen zunehmend an Bedeutung gewannen und die Anforderungen an die Genauigkeit bzw. Zuverlässigkeit der Erkundungsergebnisse ständig zunahm.

Diese naturgegebene Randbedingung des begrenzten potenziellen Wasserdargebotes forderte einerseits den schonenden Umgang mit den Wasserressourcen sowie andererseits intensive Forschungsarbeiten und eine hohe Genauigkeit für den Nachweis der gewinnbaren Grundwasserentnahmen nahezu zwingend heraus. Das war objektiv gesehen auch der Grund dafür, dass in der DDR nicht nur im Vergleich innerhalb des RGW sondern auch z.B. zur alten BRD ein hoher regionaler Kenntnisstand (Flächendeckende Hydrogeologische Übersichtskarte 1 : 200 000 bereits 1968 – in der BRD erst 2004 !) sowie hohe Standards für Erkundung und Berechnung sich entwickelten und schließlich auch erreicht wurden.

Die GW-Klassifikation der GW-Vorräte und die Instruktion zur Anwendung der Klassifikation bildeten dabei einen verbindlichen Rahmen für die Vereinheitlichung, Vergleichbarkeit und Qualitätsverbesserung der GW-Vorratsberechnungen einschließlich ihrer umfassenden und transparenten Dokumentation. Die integere Persönlichkeit von F. Stammberger und seine Fähigkeit, sein umfassendes Wissen mit Logik und seiner Lebenserfahrung für eine konsequente Umsetzung der Klassifikation zu nutzen, hatten einen entscheidenden
Einfluss.

Die Zentrale Vorratskommission (ZVK und später die Staatliche Vorratskommission StVK) war eine Autoritätsinstitution. Trotz wirtschaftlicher und politischer Restriktionen und Zielstellungen der Tagespolitik wurden stets Aspekte der Zukunft beachtet. Für wissenschaftliche neue Erkenntnisse war man offen. Umweltschutz (Auswirkungen des Grundwassereingriffs auch auf andere aquatische Systeme wie Oberflächengewässer, Feucht- und Naturschutzgebiete) sowie die Relation von Aufwand und Nutzen bzw. volkswirtschaftlicher Effizienz waren stets im Blickfeld der Beurteilungen und Entscheidungen (Geologisch-ökonomische Analyse). Nicht ohne Grund waren bestätigte Grundwasservorräte eine zwingende Voraussetzung für die Durchführung wasserwirtschaftlicher Investitionen.

Die Organisationsstruktur der Administration in der Wasserwirtschaft/Geologie hatte u. a. den Vorteil, dass eine mehrseitige Qualitätskontrolle und eine einheitliche, zentrale Bilanzierung von Grundwasservorräten, damit Ressourcenkontrolle und -sicherung sowie überregionaler Umweltschutz, gewährleistet waren.

Bereits 1959 formulierte der damalige Leiter des Fachbereiches Hydrogeologie im Zentralen Geologischen Institut, J. Zieschang, in der Zeitschrift für Angewandte Geologie:

„Im Rahmen der Bilanzierung der Wasservorräte wird über kurz oder lang auch für das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik eine genaue Erfassung aller Grundwasservorräte in verschiedenen Kategorien notwendig werden“.

[ZIESCHANG, J.: Zur Klassifikation der Grundwasservorräte. – Z. angew. Geol., 7, S. 312 – 314, Berlin 1961]

Im Weiteren beschreibt Zieschang die notwendigen komplexen hydrogeologischen Untersuchungen und schlägt in Anlehnung an die sowjetische Klassifikation (vermeintliche Grundwasserklassifikation s.u.) zur Identifikation der Zuverlässigkeit der Erkundungsergebnisse eine Klassifizierung der Grundwasservorräte vor.

Auf Initiative von H.-J. Weder und mit Unterstützung von H. Hetzer begannen Verhandlungen mit den Organen der Wasserwirtschaft. Im Mittelpunkt stand dabei der Doppelcharakter des Grundwassers, das einerseits Bodenschatz und andererseits durch die Einbindung in den meteorologischen Wasserkreislauf Teil der Gewässer ist.  

H.-J. Weder begründetet die Zuständigkeit der Geologie ausführlich und kam zu dem Schluss:
... dass Grundwasserlagerstätten prinzipiell gleichen Gesetzen unterliegen wie Lagerstätten anderer Minerale und dass sich aus der Gebundenheit an den Wasserkreislauf nur eine Besonderheit des Grundwassers ergibt, die bei hydrogeologischen Untersuchungen zusätzlich zu berücksichtigen ist ... .“

[
WEDER, H.-J.: Zur Grundwasserklassifikation. – Z. angew. Geol., 8, S. 401 – 404, Berlin 1962] 

Es begann ein Disput zwischen dem Amt für Wasserwirtschaft und der Staatlichen Geologischen Kommission bezüglich der Zuständigkeit für das Grundwasser.

Eine gemeinsame Arbeitsgruppe wurde zur Lösung der Probleme gebildet. Die erfolgreiche Tätigkeit dieser Arbeitsgruppe dokumentiert die 9. Jahrestagung der Geologischen Gesellschaft in der DDR im Mai 1962:
„Dabei wurde davon ausgegangen, dass das Grundwasser wegen seiner Teilnahme am allgemeinen Wasserkreislauf einerseits zu den Gewässern zu rechnen ist, andererseits aber als für sich getrennt gewinn- und nutzbarer Teil der Erdrinde auch den Charakter des Bodenschatzes hat. ... Seine Erforschung, Erfassung, Bilanzierung und Beherrschung ist nur in sinnvollem Zusammenwirken der Wasserwirtschaft mit der Hydrologie zu erreichen.“

[ROCHLITZER, J.,: Die Anforderungen der Wasserwirtschaft an die Hydrogeologie zur Sicherung des für die Entwicklung der Volkswirtschaft notwendigen Wasserbedarfs. - Berichte der Geologischen Gesellschaft in der DDR, 8. Band, Heft 1, S. 16 – 29, Berlin 1963]

Die Abgrenzung der Zuständigkeiten sowie die Grundsätze der Zusammenarbeit wurden schließlich in einer ersten Vereinbarung zwischen dem Amt für Wasserwirtschaft und der Staatlichen Geologischen Kommission 1962 fixiert. 

Die zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Vorstellungen zur Grundwasservorratsklassifikation wurden in einer Arbeitsgruppe der ZVK unter Leitung von Prof. Friedrich Stammberger diskutiert und für die Veröffentlichung vorbereitet. Dieser Prozess war sehr zäh und von sehr kontroversen fachlichen Standpunkten geprägt. Als ein Mitglied dieser Arbeitsgruppe erinnert sich der Autor lebhaft dieser Diskussionen.

Bestechend waren die Logik und die konsequente, prägnante sprachliche und fachliche Diskussionsführung von F. Stammberger. Obwohl er bezüglich des Grundwassers als „Seiteneinsteiger“ zu bezeichnen war, belegt ein Artikel von 1966 diese Eigenschaften bzw. die vom Autor empfundene Qualität der Verhandlungsführung und Kompetenz.

In einem Artikel [STAMMBERGER, F.: Einige grundsätzliche Bemerkungen zur ersten Grundwasservorratsklassifikation der DDR. – Z. angew. Geol., 12, S. 415 – 421, Berlin 1966] schätzt F. Stammberger die zwischen 1961 und 1963 geführte Diskussion ein und bereitet damit die Verabschiedung einer Grundwasservorratsklassifikation vor. Klare Begriffsdefinitionen vermisst er und setzt diese berechtigterweise für eine erfolgreiche Verständigung voraus. In seiner wissenschaftlichen Gründlichkeit geht er auf die Klassiker der deutschen Hydrologie und Wasserwirtschaft zurück und leitet davon ausgehend seinen Standpunkt und seine Vorschläge zu den aktuell notwendigen Begriffsdefinitionen ab.
Dieses Kapitel kann nicht abgeschlossen werden, ohne eine nicht uninteressante Wissenslücke unserer Hydrogeologen zu erwähnen. Ihre Forderung nach der Schaffung einer Grundwasservorratsklassifikation wurde nicht selten mit Hinweisen auf entsprechende Dokumente in den befreundeten sozialistischen Ländern insbesondere in der UdSSR begründet. Nun gibt es in der Sowjetunion bis heute jedoch weder eine Vorratsklassifikation für „Grundwasser“ noch für „unterirdisches Wasser.“
[STAMMBERGER, F. 1966: s. o.]

Er weist zwei Ursachen für die Wissenslücken oder besser für die Missverständnisse nach. Die seit 1960 geltende „Klassifikation der Exploitationsvorräte des unterirdischen Wassers“ bezieht sich zum einen nicht auf das Grundwasser nach sowjetischer Definition und zum anderen nur auf das Liefervermögen.

In der sowjetischen Hydrogeologie wird zwischen Grundwasser und Unterirdischem Wasser unterschieden. Das erstere wird dem ersten unbedeckten Grundwasserleiter zugeordnet und eine unmittelbare Verbindung zu den Oberflächengewässern postuliert. F. Stammberger anerkennt dagegen die Einheit von Grund- und Oberflächenwassersystemen unabhängig von der geologischen Position der Grundwasserleiter und dem bereits definierten Doppelcharakter des Grundwassers.

Der Begriff Exploitationsvorräte wurde nach Meinung von F. Stammberger meist gedankenlos als „Grundwasservorräte“ ins Deutsche übersetzt, ohne sich inhaltlich damit auseinander gesetzt zu haben.

Die Exploitationsvorräte sind in der o.g. Klassifikation definiert:
„Unter Exploitationsvorräten werden unterirdische Wassermengen in m3/d verstanden, die durch in technisch-ökonomischer Hinsicht rationelle Wasserfassungsanlagen bei einem vorgegebenen Exploitationsregime und bei einer Wasserqualität erhalten werden können, die im Laufe der vorgesehenen Wassernutzungszeit den Forderungen entspricht“.
[STAMMBERGER, F.: s. o.] 

Die zu diesem Zeitpunkt bereits geltende „Klassifikation der Exploitationsvorräte des unterirdischen Wassers“ (Moskau 1960) sowie die Instruktion zur Anwendung der „Klassifikation der Exploitationsvorräte des unterirdischen Wassers“ (Moskau 1961) bezieht er dennoch in die Grundwasservorratsklassifikation ein, kopiert jene jedoch nicht. In der DDR führte er dazu den Begriff des Liefervermögens ein:
„Die in den Grundwasserlagerstätten berechneten Vorräte und das festgestellte Ausmaß ihrer Erneuerungsmöglichkeit sind die Grundlage für die Ermittlung der ständig oder im Laufe eines Zeitraumes zulässigen Entnahmemengen, dem Liefervermögen (in m3/d) der Grundwasserlagerstätte bzw. eines ihrer grundwasserführenden Gesteine.“
[Klassifikation der Grundwasservorräte der Deutschen Demokratischen Republik  - 1. Grundwasservorratsklassifikation vom 15.04.1966 - §1 Absatz 5 – Z. angew. Geol., 12, S. 421 – 423, Berlin 1966]

Für die Gradlinigkeit und die Konsequenz im Denken und Handeln von F. Stammberger spricht das folgende Zitat aus seinem o.g. Artikel:
„Es erscheint auch unrichtig, eine so limitierte Fördermenge als „Vorrat“ zu bezeichnen.
Wir sehen deshalb in unseren Festlegungen gegenüber den sowjetischen der Jahre 1960/1961 nur einen Fortschritt in der Formulierung und keinen grundsätzlichen Unterschied in der Betrachtungsweise.“
[STAMMBERGER, F.: s. o.]

Ein Ausdruck des langwierigen, komplizierten Einigungsprozesses zwischen den Bereichen Wasserwirtschaft und Geologie ist letztendlich die Tatsache, dass die 1. Grundwasservorratsklassifikation erst am 15.04.1966 in Kraft treten konnte.

Und auch das folgende Zitat ist typisch für Weitsicht und Cleverness von F. Stammberger:
„Die von der ZVK herausgegebene erste Grundwasservorratsklassifikation wird in der nächsten Zukunft ihre Bewährungsprobe bestehen müssen. Die Erfahrung wird zeigen, ob sie Lücken und ungenügende Festlegungen aufweist. Sie werden zur gegebenen Zeit ausgebessert werden.“
[STAMMBERGER, F.: s. o.]

Die im weitere Verlauf jährlich zu prüfenden und zu entscheidenden Grundwasservorratsberechnungen erreichten einen Umfang, der ergänzend zum Zentralen Arbeitskreis Grundwasser der ZVK die Bildung der regionalen Arbeitskreise Nord (Neubrandenburg) und Süd (Dresden) erforderte. In den regionalen Arbeitskreisen wurden die Grundwasservorratsberechnungen für die Einzelversorgungen bzw. kleineren und bestehenden Grundwasserfassungen behandelt.

Im zentralen AK Grundwasser leistete Dr. Herbert Gläßer die Hauptarbeit mit der Überprüfung der Vorratsberechnungen und der Koordination der externen Gutachter sowie später auch der AK Nord und Süd. Eckert Christenfeld hat ihn dabei über fünf Jahre unterstützt, bevor er zum VEB WAB Berlin wechselte.

Nach dem altersbedingten Ausscheiden von Friedrich Stammberger aus dem aktiven Berufsleben wurde unter Leitung von Conrad Goldbecher nach einer zwischenzeitlich erfolgten Umstrukturierung der dem Ministerrat der DDR bis 1975 direkt unterstellten ZVK zur Staatlichen Vorratskommission als Organ des Ministeriums für Geologie die 2. Grundwasservorratsklassifikation mit Datum vom 28. August 1979 erarbeitet. Sie trat mit Veröffentlichung im Gesetzblatt der DDR – Sonderdruck 1979 vom 9. November – in Kraft.

Schließlich folgte die 2. Grundwasser-Instruktion mit Datum vom 1. Mai 1987, bestätigt durch den Minister für Geologie M. Bochmann. Bemerkenswert sind die drei Anhänge:

·         Anhang Nr. 1
Anlage 1 zur „Vereinbarung zwischen dem Ministerium für Geologie und dem Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft über geologische Untersuchungsarbeiten auf Grundwasser“ vom 7. Februar 1984: Grundsätze zur Erarbeitung von Konditionen für die Erkundung und Bestätigung von Grundwasservorräten.

·         Anhang Nr. 2
Festlegung zum Nachweis von Grundwasservorräten an bestehenden Wasserwerken, - bestätigt am 01.12.1984 von

            Fiedler, Staatssekretär für Umweltschutz und Wasserwirtschaft sowie
            Dr. Goldbecher, Vorsitzender der Staatlichen Vorratskommission und Staatssekretär für Geologie

·         Anhang Nr. 3
Anlage 4 „Vereinbarung zwischen dem Ministerium für Geologie und dem Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft über geologische Untersuchungsarbeiten auf Grundwasser“ vom 7. Februar 1984: Grundwassererschließungsarbeiten lokaler Bedeutung.

Der in der 1. Grundwasservorratsklassifikation sowie in der 1. Grundwasser-Instruktion begrifflich zwar enthaltene Begriff „zusätzliche Grundwasservorräte“, die durch technische Maßnahmen wie Uferfiltration und Grundwasseranreicherung entstehen, erhielt in der 2. Grundwasservorratsklassifikation sowie später in der 2. Grundwasser-Instruktion eine eindeutige Aufwertung. Darin spiegelt sich der bereits behandelte Konflikt zwischen ständig steigendem Wasserbedarf und dem natürlich begrenzten Wasserdargebot wider. Die Lösung war für die Ballungsgebiete die Mehrfachnutzung. Diese erfolgte auf Grund der Vorzüge (Schönung des versickerten Oberflächenwassers, kostengünstig zu schaffender unterirdischer Speicherraum u.a.) über die Grundwasseranreicherung und die Uferfiltration.

An dieser Stelle sei eine kritische Bemerkung zur Ansicht von F. Stammberger bezüglich der „sich praktisch nicht erneuernden Vorräte“ oder auch als „statische Vorräte“ bezeichneten passiven Grundwasservolumina erlaubt.

F. Stammberger schreibt in seinem o.g. Artikel von 1966 auf Seite 419:
„Die als unantastbar betrachteten sogenannten „statischen Vorräte“, die deshalb nach Meinung einiger Fachleute auch nicht erkundet, berechnet und klassifiziert werden sollen, sind keineswegs ein hydrogeologisch - wasserwirtschaftliches Tabu. Tatsächlich werden bei uns, wie in fast allen Ländern mit großem Wasserbedarf, die „statischen Vorräte bereits teilweise genutzt. Sie wurden und werden tatsächlich „angetastet. Und dieses Antasten und sogar ihr völliger Abbau werden zukünftig zunehmen“.

Es geht bei der kritischen Bemerkung um den Abbau der statischen Vorräte oder besser der „sich praktisch nicht erneuernden Vorräte“. Diese Grundwasservolumina sind Voraussetzung für das „In-Gang-halten“ des natürlichen Wasserkreislaufes. Würden diese Polster nicht existieren, würden die versickernden Niederschlagswässer in die „ leeren Gesteinskörper“ (Poren, Klüfte oder Hohlräume) absinken und den rezenten Wasserkreislauf mit allen negativen Folgen für die Oberflächengewässer, für alle aquatischen Systeme sowie für die Grundwassergewinnung unterbrechen. Und zwar solange, bis der Auffüllvorgang wieder die Größe oder Höhe erreicht hat, die zu einem Abfluss und damit zum wieder „In-Gang-setzen“ des Kreislaufes Niederschlag - Verdunstung - Abfluss führt. Die großen Absenkungstrichter des Braukohlenabbaus und die Flutungsproblematik nach der Auskohlung oder Stilllegung der Tagebaue in der Lausitz, im mitteldeutschen Revier aber auch im Erftgebiet sind für diesen Prozess der beste Beweis.

Die Erhaltung dieses Polsters ist damit für die Bildung und Gewinnung der sich erneuernden Grundwasservorräte unverzichtbar. Selbstverständlich ist der Begriff „statische oder sich praktisch nicht erneuernde Vorräte“ eine Abstraktion.
[WEDER, H.-J.: Z. angew. Geol., 8, S. 401 – 404, Berlin 1962]

Auch diese Wasservolumina unterliegen gewissen Austauschprozessen, die hydrochemisch, thermisch oder auch hydrodynamisch verursacht werden. Sie spielen sich jedoch in sehr langen Zeiträumen ab. Diese Bereiche, meist tiefliegender Grundwasserleiter, werden in der Literatur verschiedentlich auch als „passive“ Grundwasserzonen im Gegensatz zu den „aktiven“ im Bereich oberer Grundwasserleiter mit unmittelbaren hydraulischen Verbindungen zu den Oberflächengewässern bezeichnet (u. a. von B. Gabriel und G. Ziegler als “schnellfließende und langsamfließende Anteile der Grundwasserneubildung.“).

Es ist jedoch falsch den statischer Grundwasservorrat zu definieren “als Teil des Grundwasservorrates, der nicht genutzt werden kann.“. [ADAM, C., GLÄßER, W., HÖLTING, B.: Hydrogeologisches Wörterbuch. – Stuttgart: Enke, 2000. – 311 S. ISBN 3-13-118271-3]

Die statischen Grundwasservorräte bieten die Möglichkeit der „Bewirtschaftung“ der Grundwasserlagerstätten, indem Grundwasser zum Ausgleich von Verbrauchsspitzen mit Entnahmemengen, die über der durchschnittlichen Größe der sich erneuernden Grundwasservorräte im Jahresmittel liegen, aus den statischen Vorräten zeitweilig entnommen werden können, unter der Voraussetzung, dass im Jahresmittel oder auch einer längeren Periode durch Minderentnahmen ein Ausgleich erfolgt.

Das wiederum hat F. Stammberger in seinen Betrachtungen von 1963 richtig gesehen, wenn er im o.g. Zitat von „Antasten“ schreibt. Schließlich wird mit der Definition des von ihm eingebrachten Liefervermögens in die 1. Grundwasservorratsklassifikation vom 15.4.1966 diesem Aspekt Rechnung getragen:
„Es sind zu berechnen:
3.1     das konstante Liefervermögen in m3/d;

3.2
      das maximale Liefervermögen in m3/d bezogen auf eine definierte Zeit während des Spitzenbedarfs;

3.3
     
das mittlere Liefervermögen in m3/d bezogen auf den Jahresdurchschnitt für den Nutzungszeitraum.“

 

Was wurde aus der Grundwasservorratsklassifikation und der Grundwasser-Instruktion nach der "Wende" im Jahr 1990?

Das MfGEO( Ministerium für Geologie) und die StVK hatten kein Pendant in der Bundesrepublik, sie verloren ihre Funktion. 

Der wirtschaftliche Umbruch führte innerhalb weniger Jahre zu einer Halbierung des Wasserverbrauchs. 

Der in der DDR bereits 1962 vollzogenen „Vereinigung“ zwischen Hydrogeologie und Wasserwirtschaft stand in der Bundesrepublik die strukturelle und methodische Trennung zwischen Geologie und Wasserwirtschaft modifiziert noch durch die föderale Struktur und Eigenständigkeit der Bundesländer gegenüber. 

Die Erkundung und Erschließung neuer Grundwasserressourcen wurde zum Randgeschäft. In den Fokus des wirtschaftlichen und öffentlichen Interesses rückte die Ermittlung, Bewertung und Sanierung von ökologischen Altlasten.

 

Bei der notwendigen Umstellung der Arbeitsweise der Hydrogeologen war ein deutlicher Vorteil die straffe Schule der STVK, d.h. die gute methodische Strukturierung der Grundwassererkundung und Vorratsberechnung sowie die konsequente Umsetzungskontrolle.

Die Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik – bekannt unter dem Kürzel WRRL – brachte eine Veränderung.

In der Präambel heißt es unter (4):
„Die europäische Umweltagentur hat am 10. November 1995 einen aktualisierten Bericht über die Lage der Umwelt in der Europäischen Union für 1995 vorgelegt und auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Gewässer der Gemeinschaft sowohl in qualitativer als auch quantitativer Hinsicht zu schützen“

Die Ziele der WRRL für das Grundwasser sind:

- Vermeidung einer weiteren Verschlechterung sowie Schutz und Verbessrung des Zustands der aquatischen Landökosysteme und Feuchtgebiete im Hinblick auf den Wasserhaushalt

- Förderung einer nachhaltigen Wassernutzung

- Schrittweise Reduzierung der Grundwasserverschmutzung und Verhinderung seiner weiteren Verschmutzung

Artikel 4: Umweltziele

- Die Mitgliedsstaaten schützen, verbessern und sanieren alle Grundwasserkörper und gewährleisten ein Gleichgewicht zwischen Grundwasserentnahme und –neubildung mit dem Ziel, spätestens 2015 einen guten Zustand des Grundwassers und für alle signifikanten und anhaltenden Trends der Schadstoffkonzentrationen eine Trendumkehr zu erreichen. 

 

Die erstmalige Beschreibung aller GW-Körper (GW-Leiter) ist vorzunehmen, um zu beurteilen 

inwieweit sie genutzt werden und
wie hoch das Risiko ist, dass sie die Ziele gemäß Artikel 4 nicht erfüllen.“

Die erstmalige Beschreibung ist flächendeckend vorzunehmen. Die Ergebnisse der erstmaligen Beschreibung sind

-    die Voraussetzung zur Identifizierung der Gebiete, die eine weitergehende Beschreibung erfordern, für die  GW-Körper, die keine weitergehende Beschreibung erfordern, unmittelbar für die Erstellung von Maßnahmenprogrammen nach Artikel 11,

-    Bewirtschaftungsplänen nach Artikel 13 und Anhang VII sowie

-     für die Umsetzung der Bestimmungen nach Artikel 7, 8 und Anhang V (GW-Monitoring) zu nutzen.

Die erstmalige Beschreibung setzt daher die Analyse und Bewertung sehr komplexer Zusammenhänge in der Einheit von

-       Gewässernetz und Klima (Rahmenbedingungen),

-       GW-Leiter (Gefäß),

-       GW-Körper (Volumen),

-       GW-Bedeckung (Schutzaspekt),

-       GW-Neubildung (Regenerierung der Ressource),

-       GW-Dynamik,

-       GW-Beschaffenheit,

-       Flächennutzung (punktförmige / diffuse Schadstoffquellen) und Schutzgebiete,

-       grundwasserrelevante Landökosysteme (FFH, NSG) und Oberflächenwasserkörper sowie

-       GW-Monitoring (Realitätsprüfung)

voraus.

Weitergehende Beschreibung:

Nach Anhang II der EG-Wasserrahmenrichtlinie ist die weitergehende Beschreibung derjenigen GW-Körper (GW-Leiter) vorzunehmen, bei denen im Rahmen der erstmaligen Beschreibung ein Risiko hinsichtlich der Erreichung der Umweltziele ermittelt wurde. Eine weitergehende Beschreibung ist auch generell notwendig bei GW-Körpern, die sich über die Grenze zwischen zwei oder mehreren Mitgliedstaaten hinaus erstrecken.

Aufgabe der weitergehenden Beschreibung:

1. Eine genauere Ermittlung der Ursachen und der Beurteilung des Ausmaßes, die Umweltziele nicht erreichen zu können.

2. Ermittlung der Maßnahmen, die nach Artikel 11 erforderlich sind, um die Umweltziele bis 2015 zu erreichen.

3. Bei gegebenen Voraussetzungen die Inanspruchnahme von Ausnahmeregelungen zu begründen (Artikel 4).

Die weitergehende Beschreibung erfordert eine detaillierte Betrachtung der raumzeitlichen Beschaffenheits- und Mengenentwicklung im identifizierten GW-Körper bzw. dem zugehörigen Einzugsgebiet.

Dies bedeutet in erster Linie eine größere Bearbeitungstiefe der Daten und Informationen, die im Rahmen der erstmaligen Beschreibung betrachtet wurden.

 

Rückblick

In der kritischen Auseinandersetzung mit den Begriffsdefinitionen der Bereiche Wasserwirtschaft und Geologie 1966 schrieb F. Stammberger:
„Die Wirtschaft interessiert sich unmittelbar nicht so sehr für die ruhenden und sich nicht erneuernden Vorräte, sondern dafür, welche Wassermenge kontinuierlich oder diskontinuierlich (zeitlich begrenzt oder unbegrenzt) für die Wasserversorgung auf Grundwasserbasis gewonnen werden kann. Das und nur das ist die Besonderheit des hydrogeologischen Erkundungsauftrages.
Anders ausgedrückt: Wenn die Vorräte und die hydrogeologischen Verhältnisse hinsichtlich des unterirdischen Zuflusses neuer Wassermengen geklärt wurden, steht vor dem Hydrogeologen eine weitere nur für sein Arbeitsgebiet zutreffende Aufgabe: Er muß angeben, welche Wasserabgabe der Schichten des betreffenden Gebietes für eine Nutzung möglich ist.“.

Und weiter:
„Sie
(die GW-Vorratsklassifikation) hat nur eine einzige Aufgabe: einheitliche Grundsätze für die Berechnung und die Klassifizierung festzulegen. Sie legt weder fest noch erläutert sie , wie das zu geschehen hat.“
[STAMMBERGER, F.: s. o.]

 

 

Rückblickend ist festzustellen,
die GW-Klassifikation der GW-Vorräte und Instruktion zur Anwendung der Klassifikation bildeten einen verbindlichen Rahmen für die Vereinheitlichung, Vergleichbarkeit und Qualitätsverbesserung der GW-Vorratsberechnungen einschließlich ihrer umfassenden und transparenten Dokumentation.
Die ZVK und später die STVK leisteten bei der Überwindung der bis 1990 bestehenden Konfliktsituation zwischen Wasserbedarf und dem naturbedingt limitierten Wasserdargebot einen hervorragenden Beitrag zur Entwicklung der Hydrogeologie.
Die straffe „Qualitätskontrolle“ der Vorratsberechnungen war für die Erkundungsgeologen mit einer Qualifizierung verbunden, die sie befähigte den mit der Zäsur 1990 entstehenden Wechsel der Aufgaben nahtlos und erfolgreich zu meistern.

 

Schließlich hat sich mit der WRRL die ganzheitliche Behandlung der Grundwassererkundung in der Einheit von Grund- und Oberflächenwasserkreislauf, wie sie in der Grundwasservorratsklassifikation manifestiert war, bestätigt. Mehr noch, die geologisch-ökonomische Analyse, wie sie von F. Stammberger eingeführt wurde, findet in den Forderungen der WRRL zur Bestimmung der Ressourcenkosten und der wirtschaftlichen Analyse eine Fortsetzung.

 

Bewahren wir uns dieses Wissen und entwickeln es weiter, um die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen! 

 

Ausblick:
Der Klimawandel wird in den Regionen, für die ein Rückgang der Niederschläge und auf Grund der Erwärmung eine gesteigerte Verdunstung prognostiziert werden, das in den Jahren von 1960 bis Mitte der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts (Wiederanstiegsprobleme in den ehemaligen Braunkohlebergbaugebieten) gesammelte Know-how zur sinnvollen und notwendigen Bewirtschaftung der Grundwasserressourcen unter Einschluss der sich praktisch nicht erneuernden Vorräte herausfordern.

 

 

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